ALBINOBROTHERS

Tobias Werner ist einer letzten echten Typen, die sich hier und da durch die Clubs des Landes mogeln. Aus den Wirren der Wendejahre destillierte er mit seiner damaligen Band AMBUSH einen düster kathartischen Soundtrack zur Parallwlwelt des scheinbar normalen Lebens, kultivierte nach deren Ableben seinen schwarzen Humor in einem eigenwilligen Weird-Folk Projekt namens HILTER (wie konnte er nur), um dann schließlich mit der HELGA BLOHM DYNASTIE zur Erleuchtung zu gelangen. Dort traf er auf Ronny Wunderwald, der als fahrender Trommler – ausgestattet mit einigem an Fame, gründend auf seine bisherigen Bands GARDA und THE GENTLE LURCH – bei ihnen anheuerte. In ihm fand er den perfekten Kompagnon, um seinen Solowerken das gewisse Etwas zu geben, denn beide teilen den selben Spirit im musikalischen Rangehen: Es geht nicht darum, einem Publikum gefallen zu müssen. Es geht um Haltung und Reinigung, um Selbsterkenntnis und Selbstverhexung.

Man soll nicht zu viel versprechen. Viele gut funktionierende Mitglieder unserer Gesellschaft tropfen vermutlich ab an diesen Liedern. Gleiten daran herunter wie an ölverschmiertem, altem Blech und wenden sich erschrocken in eine andere Richtung. Die Stücke von Tobias Werner sind brüchig, zähfließend, irreführend, lose und manchmal verhundet oder verroht. Und sie sind liebevoll, detailreich und mit Sorgfalt in Ort und Zeit gesetzt. Andere Menschen wiederum – solche, die verwundet sind, verschorft oder vernarbt, verquollen, paralysiert oder verirrt – betreten sie dagegen ganz leicht. Wie ein ofenwarmes Nachtasyl, in dem Essen auf dem Tisch steht und eine Neonröhre flackert. Mit „Blue Boy Gets Below“ komplettiert Tobias Werner nach „Albinoblues (2011) und „Gift“ (2016) seine Albinoblues-Triologie. Alle Teile drei Teile eint, dass sie bis zur Hüfte in sumpfigem Blues, in uralten Liedern und zukünftigen Klängen feststecken. Zeilen tropfen manchmal so unverhofft inmitten wunderschöner Instrumentals, als würden sie aus einem Tagtraum aufgeschreckt. Oder wie Erkenntnis, die sich aus einem lysergenen Rausch schält, kurz die Oberfläche durchbricht und wieder verzweigt und überlagert wird. Als hätte es den Weg den diese Songs nehmen, gebraucht, um zu den jeweiligen Gedanken zu gelangen. Minimalistisch. Roh. Echt.

Veröffentlichungen

Albinoblues (2011)

Gift (2016)

Blue Boy Gets Below (2019)

Listen! 29 Prayers (2022)